Vom Hunger zur Selbstverwirklichung
Arbeit ist mehr als ein Mittel zum Broterwerb. Wer sie verstehen will, muss sie strukturell begreifen.
Am Anfang steht der Mangel: Der leere Magen zwingt zur Bewegung – zur Jagd, zur Fürsorge, zum Tun. Diese ursprüngliche, „primäre“ Arbeit dient der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung. Sie ist lebenserhaltend, notwendig, zielgerichtet – eine biologische Reaktion auf das Gefühl Hunger, der an die Notwendigkeit zu essen erinnert.
Sobald jedoch das Grundbedürfnis gestillt ist, wandelt sich die Arbeit. Der Mensch beginnt zu gestalten, zu lehren, zu erschaffen, kreativ zu werden… Aus der reaktiven Notwendigkeit entsteht sinnstiftende Tätigkeit: kulturell, symbolisch, bedeutungstragend.
In modernen Gesellschaften ist diese Unterscheidung weitgehend verwischt. Arbeit ist heute vor allem Erwerbsarbeit – Einkommen wird an Arbeit gekoppelt. Daraus folgt die Prämisse: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen und damit ein indirekter Zwang zur Erwerbsarbeit, weil Essen keine Option, sondern Voraussetzung des Lebens ist. Dabei arbeitet nicht jeder primär, um Geld zu verdienen, sondern sieht in seiner Arbeit ein identitätsstiftendes Mittel zur Selbstverwirklichung.
Zum Beispiel eine Mutter, die ihre Kinder liebevoll versorgt, ein ehrenamtlicher Helfer, der sich unter Lebensgefahr im Katastrophenschutz engagiert, oder ein Mensch, der sich aus Empathie um Pflegebedürftige kümmert. Dabei stellt sich die Frage: Ist ein vermögender Mensch, der keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, gleich einzustufen, wie jemand, der aber keine bezahlte Arbeit findet?
Hier beginnt das strukturelle Problem, wobei Einkommen selbst – ebenso wie Arbeit – kein natürliches Phänomen ist, sondern gesellschaftlich organisiert. Auf einer strukturellen Ebene lassen sich drei Ausgangsaussagen formulieren:
1\. Alle Menschen haben Grundbedürfnisse.
2\. Ein Teil der Menschen kann diese Bedürfnisse nicht eigenständig decken – etwa Kinder, Kranke, Alte, Erwerbslose oder Geringverdiener.
3\. Ein anderer Teil kann sie selbst decken, oft, weil er über Ressourcen, Eigentum oder dauerhaftes Einkommen verfügt.
Doch wer nicht arbeitet – egal ob er kann oder nicht – bekommt auch kein Geld – und damit keinen Zugang zu zentralen Lebensgütern. 
Daher lautet die soziale Frage nicht: Wie ermöglichen wir jemandem, der kein Einkommen hat, durch Arbeit Geld zu verdienen? Sondern: Wie ermöglichen wir allen Menschen, unabhängig von ihrer Verwertbarkeit, ein Leben in Würde und Sicherheit?
Wenn der Zugang zu Einkommen an Erwerbsarbeit gebunden ist – und Erwerbsarbeit nicht allen offensteht oder nicht ausreichend entlohnt wird –, dann ist Armut keine individuelle Schwäche, sondern eine strukturelle Folge des Systems.
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) bietet in diesem Kontext nicht bloß eine finanzielle Hilfe, sondern eine fundamentale Systemkorrektur. Es trennt das Recht auf Leben vom Zwang zur Arbeit. Es schafft eine Grundlage, von der aus Menschen freiwillig entscheiden können, wie, wo und ob sie tätig sein wollen – ohne in existenzielle Not zu geraten.
Arbeit beginnt mit dem Hunger. Doch wenn Gesellschaft mehr sein will als ein Überlebensapparat, dann muss sie Bedingungen schaffen, unter denen Menschen nicht nur überleben, sondern auch wählen, wirken und wachsen können.
Das Grundeinkommen ist keine Belohnung für Fleiß – sondern die Anerkennung der Existenz.
Das ist keine Utopie – sondern eine logische Antwort auf eine strukturelle Schieflage.
Und es ist kein Rückzug aus Verantwortung – sondern der erste Schritt in eine Gesellschaft, die Freiheit nicht nur verspricht, sondern ermöglicht.