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Lohnverhandlung – Beobachtet von einem Dritten

Arbeitgeber: Wir bieten 12 Euro pro Stunde. Das ist branchenüblich und für einen Einstieg fair.

Arbeitnehmer: Ich hatte mit 14 gerechnet. Aber gut… ich bin froh, wenn ich überhaupt etwas bekomme.

Arbeitgeber: Es ist ein Anfang. Später können wir über Entwicklung sprechen. Aber aktuell liegt nicht mehr drin.

Arbeitnehmer: Dann einigen wir uns. Danke.


Kommentar eines unbeteiligten Dritten:

Zwei Menschen einigen sich. Keine erhobenen Stimmen, kein Zwang, keine offene Ungerechtigkeit. Und doch bleibt ein Unbehagen.

Der Arbeitgeber macht ein Angebot. Warum genau 12 Euro? Vielleicht, weil es der branchenübliche Mindestbetrag ist. Vielleicht, weil er weiß, dass sich viele darauf einlassen. Vielleicht, weil er ehrlich glaubt, das sei fair – oder weil er nicht mehr zahlen will, solange er es nicht muss. Seine Entscheidung ist Ergebnis eines Abwägens: Was erlaubt das Budget? Was verlangt der Markt? Was hält der Bewerber aus?

Der Arbeitnehmer nennt 14 Euro. Ist das Wunsch oder Strategie? Vielleicht hat er sich umgehört. Vielleicht setzt er bewusst höher an, um noch verhandeln zu können. Vielleicht ist 14 Euro das Minimum, das er braucht, um seine Lebenshaltungskosten zu decken. Oder eine Zahl, die Hoffnung signalisiert: Ich bin mehr wert.

Und seine Zustimmung? Sie könnte aus dem Gefühl der Alternativlosigkeit entstehen – aber auch aus Taktik: Besser diesen Job als gar keinen. Oder aus Hoffnung: Vielleicht öffnet sich damit eine spätere Perspektive. Vielleicht auch aus mangelndem Wissen, was andernorts bezahlt wird. Vielleicht aus innerer Unsicherheit. Oder sogar aus der Annahme: Für den Anfang ist das in Ordnung.

Am Ende stimmen beide zu – aus unterschiedlichen Motiven. Der Arbeitgeber, weil er einen Abschluss braucht und glaubt, gut verhandelt zu haben. Der Arbeitnehmer, weil er unter Bedingungen zustimmt, die er selbst nicht völlig bestimmen kann – aber dennoch wählt. Das Einverständnis ist da, aber die Freiheit dazu?

Und hier beginnt die eigentliche Frage: Ist das gerecht?

Gerechtigkeit setzt Freiheit voraus. Nicht nur im rechtlichen Sinne, sondern als reale Möglichkeit, „nein“ zu sagen. Ein Vertrag kann nur dann als gerecht gelten, wenn beide Seiten die Freiheit hatten, ihn auch abzulehnen – nicht nur formal, sondern auch faktisch. Diese Freiheit ist nie absolut, aber sie ist spürbar: als Gefühl von Handlungsspielraum, von Alternativen, von Selbstbestimmung. Freiheit bedeutet hier nicht Unabhängigkeit von Umständen, sondern die bewusste Wahl innerhalb von Bedingungen.

Wie aber hätte diese Verhandlung ausgesehen, wenn der Arbeitnehmer über ein Bedingungsloses Grundeinkommen verfügt hätte? Wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, irgendein Angebot anzunehmen – sondern mit der Gelassenheit hätte verhandeln können, die aus existenzieller Sicherheit erwächst? Vielleicht hätte er die 12 Euro abgelehnt – nicht trotzig, sondern selbstbewusst. Vielleicht hätte er verhandelt – nicht aus Not, sondern aus Überzeugung. Vielleicht wäre auch der Arbeitgeber offener gewesen für ein Gespräch auf Augenhöhe, wenn er gewusst hätte, dass der Bewerber nicht unter Druck steht. Der gesamte Rahmen der Verhandlung hätte sich verschoben: weg vom Überlebenskampf, hin zur echten Aushandlung von Wert und Beitrag.

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen hätte den Charakter des Gesprächs verändert – nicht zwingend den Ausgang, aber die Freiheit zur Entscheidung. Und damit auch die Grundlage für Gerechtigkeit.

Denn auch der Arbeitgeber stünde in einer anderen Position. Nicht nur der Arbeitnehmer hätte eine existenzielle Absicherung, sondern auch er selbst. Er müsste niemanden einstellen, nur um sein eigenes Überleben durch unternehmerischen Erfolg zu sichern. Die Entscheidung, jemanden zu beschäftigen, wäre weniger durch ökonomischen Druck motiviert, sondern stärker durch Überzeugung, durch Projektinteresse oder durch gemeinsame Zielsetzung. Auch der Arbeitgeber könnte ’nein‘ sagen, ohne sich selbst zu gefährden – und gerade das verändert die Qualität der Entscheidung.

Zugleich könnte er sich nicht mehr sicher sein, ob der Arbeitnehmer aus Not zustimmt oder aus freier Überzeugung. Der Satz „Ich bin froh, wenn ich überhaupt etwas bekomme“ verlöre seine strategische Lesbarkeit – er wäre nicht mehr eindeutig als Ausdruck von Bedürftigkeit interpretierbar. Das zwingt den Arbeitgeber, ein Angebot zu machen, das tatsächlich überzeugt. Nicht, weil der andere es nehmen muss, sondern weil er es nehmen will.

Denn auch der Arbeitgeber stünde in einer anderen Position. Er könnte sich nicht mehr sicher sein, ob der Arbeitnehmer aus Not zustimmt oder aus freier Überzeugung. Der Satz „Ich bin froh, wenn ich überhaupt etwas bekomme“ verlöre seine strategische Lesbarkeit – er wäre nicht mehr eindeutig als Ausdruck von Bedürftigkeit interpretierbar. Das zwingt den Arbeitgeber, ein Angebot zu machen, das tatsächlich überzeugt. Nicht, weil der andere es nehmen muss, sondern weil er es nehmen will.

Das Grundeinkommen entzieht der Verhandlung die unterschwellige Drohung des Scheiterns. Es zwingt nicht zur Großzügigkeit, aber es verbietet die Ausrede der Not. Beide Seiten müssen zeigen, was sie zu bieten haben – nicht, was sie durchsetzen können.

Vielleicht müsste man Verhandlungen ganz neu denken: Nicht als Spiel mit asymmetrischen Informationen, sondern als Begegnung auf Augenhöhe. Als Dialog, der nicht nur fragt: „Was bist du wert?“, sondern: „Was brauchst du, um frei zu sein?“

Die Antwort liegt in der Luft. Und doch wird sie selten ausgesprochen.