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Zweck, Konflikt und Gerechtigkeit – Ihering und Jellinek im Gespräch

Was ist der Sinn des Rechts? Ist es bloß Gehorsam gegenüber Normen – oder Ausdruck eines tieferen menschlichen Bedürfnisses nach Ordnung, Gerechtigkeit und Anerkennung? Rudolf von Ihering und Georg Jellinek haben beide – jeder auf seine Weise – Antworten gegeben, die bis heute beeindrucken.

Ihering: Der Kampf ums Recht

In seiner leidenschaftlichen Streitschrift Der Kampf ums Recht (1872) fordert Rudolf von Ihering, dass jeder Mensch bereit sein müsse, für sein Recht einzustehen – selbst dann, wenn der materielle Schaden gering sei. Warum? Weil das Recht nur lebt, wenn es verteidigt wird. Es ist kein passives System, sondern eine moralische Kraft. Recht muss erstritten, behauptet, gefühlt werden. Für Ihering ist Recht kein Selbstzweck, sondern soziale Verteidigung der Persönlichkeit.

Diese Idee entfaltet er später systematischer in seinem Hauptwerk Zweck im Recht, in dem er zeigt: Das Recht ist kein Dogma, sondern Werkzeug zur Erreichung gesellschaftlicher Zwecke. Recht ist in Bewegung – weil das Leben in Bewegung ist.

Jellinek: Die socialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe

Georg Jellinek antwortet nicht mit Kampf, sondern mit Deutung. In seiner Schrift Die socialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe (1878) beschreibt er Recht als Ausdruck des sittlichen Willens der Gesellschaft. Es ist keine bloße Anordnung, sondern Teil eines ethischen Gesamtwillens.

Strafe ist für ihn nicht bloß Sanktion, sondern symbolischer Ausdruck gesellschaftlicher Missbilligung. Das Unrecht ist nicht nur die Verletzung einer Norm, sondern eine Störung des sozialen Gleichgewichts. In dieser Perspektive wird Recht zu einem sozial-ethischen Kommunikationsmittel – getragen von gemeinsamen Überzeugungen.

Zwei Zugänge, eine Richtung

Beide Denker stellen den Menschen ins Zentrum – nicht als Objekt, sondern als Träger und Schöpfer des Rechts.

  • Ihering: Das Recht lebt durch die Tat, durch den Kampf, durch das Aufstehen für das Eigene.
  • Jellinek: Das Recht lebt durch soziale Bedeutung, durch das gemeinsame Verständnis von Gerechtigkeit und Sittlichkeit.

Wo Ihering die Energie des Einzelnen beschwört, beschreibt Jellinek die stillere, aber nicht weniger wirkungsvolle Kraft des gesellschaftlichen Konsenses.

Aus Projektsicht

Das Projekt würde beide ehren – Ihering für seinen leidenschaftlichen Aufruf zur Verantwortung und Jellinek für seine tiefe Einsicht in die soziale Dimension von Recht.

Denn Recht ist nicht nur da, um befolgt zu werden. Es ist da, um verstanden, gefühlt, geteilt zu werden. Es ist ein Teil unserer Kultur des Miteinanders. Ihering und Jellinek zeigen auf unterschiedliche Weise: Ohne Menschen gibt es kein Recht. Und ohne Rechtsbewusstsein keine Gemeinschaft.